Dienstag, 6. August 2013

Cinglé du Mont Ventoux

Cinglé du Mont Ventoux von joaum bei Garmin Connect – Details


Seit dem 05.08.2013 bin ich nun also Mitglied im „Club des cinglés du Mont Ventoux“. Hier ist die Geschichte:

"C'est pas vrai! Vous êtes complètement fou, n'est-ce pas?", sagte die ältere, französische Dame in freundlichem, aber bestimmtem Ton zu mir.

Ich war gerade in Sault angekommen, es war ca. 11:30 Uhr, und ich hatte mir wenige Augenblicke zuvor im "Office du tourisme" meinen Stempel für die Passage von Sault in mein Fahrtenheftchen drücken lassen - und war beim Weg hinaus mit ihrem Ehemann ins Gespräch gekommen, der mich fragte, wie viel ich denn heute schon auf dem Rad gefahren sei.
Ihr Kommentar bezog sich also auf meine Antwort, nämlich, dass ich bereits zweimal an diesem Tag den Mont Ventoux mit dem Rennrad erklommen hatte, und es nun noch ein drittes Mal tun wollte.

Blick auf die "Hauptstadt des Lavendels", Sault
So kann es einem also ergehen, wenn man Mitglied im "Club des cinglés du Mont Ventoux" werden will. Mir fiel in dem Moment kein besserer Vergleich ein, als der Dame in meinem Rest-Schulfranzösisch zu erwidern: "So ist das nun mal, manche Leute sammeln Briefmarken, ich sammle Radfahrten über Pässe und hohe Berge. Und mancher Briefmarkensammler ist ganz begeistert von einer seltenen, manchmal sogar einmaligen Marke, und so bin ich begeistert von Unternehmen wie dem heutigen!"

Da konnte die ältere Dame dann doch noch lachen. Wir unterhielten uns noch ein bißchen (sie war auch schon einmal im Saarland, in Wadern!), dann machte ich mich zum letzten Mal auf den Weg hoch auf den Gipfel des "Géant de Provence", um mein Vorhaben auch zu beenden.

Losgegangen war das Ganze eigentlich im Mai diesen Jahres. Da erzählte mir mein Radfahrkamerad Peter Jung – wie ich begeisterter Rennradfahrer, wenn auch kein Radrennfahrer -  auf unserer Tour nach Mantes-La-Ville von dem oben beschriebenen Club.
Das offizielle Fahrtenheft des Clubs -
es muss in allen Städten und auf dem
Gipfel abgestempelt werden...

Wer dort Mitglied werden will, muss den Mont Ventoux an einem Tag von allen drei Hauptstraßen aus hoch fahren, also von Bédoin, Malaucène und eben Sault. Die Reihenfolge spielt keine Rolle, es gibt auch sonst keine Regeln, wo begonnen werden muss, Hauptsache, dreimal rauf und dreimal runter - an einem Tag (wer mehr erfahren will – hier ist der Link).

Von dem Moment an, als Peter mir davon erzählte, faszinierte mich diese Sache ungemein. Und da wir unseren Jahresurlaub ohnehin in der Provence verbringen wollten, setzte ich mir auch recht kurz danach in den Kopf, dieses Unterfangen zu versuchen.

Knapp über 100 Deutsche haben das bis heute geschafft, und circa 3-4 Saarländer vor mir (bei einem bin ich mir nicht sicher, der stammt aus Illingen, aber das gibt’s ja außer bei uns noch zweimal in Baden-Württemberg und auch noch in Nordrhein-Westfalen). In der Statistik des Clubs verblassen unsere Zahlen gegenüber denen der Franzosen, Holländer und Belgier, ja sogar der Engländer. Dagegen musste ich doch etwas tun!

So trainierte ich in den letzten Wochen und Monaten verstärkt Berge sowie Grundlagenausdauer auf dem Rennrad. Für mein sonst einziges sportliches Ziel in diesem Jahr, den New York Marathon, ist dieses Grundlagentraining ohnehin sehr nützlich. Zudem hatte ich in den Vortagen mit einigen anspruchsvollen Fahrten in den Alpen und der Provence (Cormet de Roselend und Col du Petit St. Bernard, Col du Galibier, Luberon) den letzten Feinschliff an meine Form gelegt.

Am Morgen des 5. August war es dann soweit. Meine Frau und mein Sohn fuhren mich schon sehr früh am Morgen nach Bédoin, damit ich die schwerste Auffahrt zuerst noch in der frischen Morgenkühle absolvieren konnte – später am Tag sollte es doch recht heiß werden.

Um's vorwegzunehmen: Mit dem Wetter hatte ich echt Glück. Es wurde später warm, ja sogar richtig heiß, aber der berühmte Mistral, der mir bei meiner "Erstbefahrung" des Mont Ventoux 2010 noch so zugesetzt hatte, war nicht vorhanden. Der einzige Wind, den ich spürte, kam jeweils ab ca. 1.700 m über N.N. auf - und war sehr willkommen, da schön kühlend.

Kurz nach 6 Uhr, kurz vor Bédoin - der Morgen graut...
Ich hatte mir vorgenommen, direkt im Anschluss an die erste Auffahrt die zweitschwerste Auffahrt von Malaucène folgen zu lassen, da diese auf der Nordwestseite des Berges liegt, so wollte ich auch hier noch von der teilweisen Verschattung profitieren.
Danach sollte dann der letzte, längste, aber auch leichteste Anstieg von Sault aus folgen. Mein Plan war, in weniger als siebeneinhalb Stunden mit allen drei Auf- und Abfahrten fertig zu sein.

Ich hatte an ziemlich alles gedacht, Verpflegung hatte ich genügend dabei, auch Ersatzschläuche, etwas Geld, genug Pulver für Getränke, allein meinen Herzfrequenzmessgurt hatte ich zu Hause liegen lassen.

 Aber das war vielleicht auch gar nicht so schlecht. So fuhr ich einfach nach Gefühl und ließ mich nicht ständig durch den Blick auf den Tacho und die dort angezeigte Herzfrequenz vom Genuss der Fahrt ablenken.




Da ich die Anfahrt aus Bédoin schon kannte, ließ ich es zum Anfang betont locker angehen, da ich wusste, dass die harte Steigung erst nach 6 km anfängt. In Saint-Estève – bis dahin geht es mit "nur" circa 5-6 % durch Weinberge – biegt die Straße in einer 180°-Kurve unvermittelt in den dichten Wald am Südhang des Bergs ein. Danach gibt's erst mal 10 km lang Steigungen mit  9-11 % ohne ein einziges Flachstück (siehe Video).

Ich fand allerdings relativ schnell einen guten Rhythmus und kam nach circa einer Stunde und 15 Minuten noch recht entspannt am Chalet Reynard an. Die letzten 6 km bis zum Gipfel sind recht mystisch - kurz nach dem Chalet Reynard  hört die Bewaldung komplett auf, und man findet sich in einer Steinwüste wieder, die an eine Mondlandschaft erinnert (mehr über den Mont Ventoux findet man hier).
Um 8 Uhr stand ich zum ersten Mal auf dem Gipfel

Trotzdem laufen da oben jede Menge Tiere herum, Kühe und Schafe sieht man allerorten. Gefordert, aber bei weitem nicht überfordert, kam ich gegen 8:00 Uhr zum ersten Mal auf dem Gipfel an. Ich konnte mir leider noch keinen Stempel abholen, da sowohl das Restaurant wie auch der Souvenirladen noch geschlossen waren. Ich fuhr also direkt weiter in Richtung Malaucène den Berg hinab - die Abfahrt bewältigte ich in einem Schnitt von 50 km/h in knapp über 25 Minuten, die kannte ich auch schon von meiner ersten Tour 2010. Da kann man es so richtig gut rollen lassen, und obwohl ich kein Husar bin, was Abfahrten angeht, erreichte ich doch Spitzengeschwindigkeiten über 80 km/h.

In Malaucène schnappte ich mir dann meinen ersten Tagesstempel in einem Radsportgeschäft und machte mich sogleich an die zweite Auffahrt, auch hier hatte ich relativ schnell einen guten Rhythmus gefunden, wiewohl die Auffahrt wesentlich unrhythmischer ist als die von Bédoin. Der schwierigste Part kommt hier nach circa 10-11 km, wo nach einem relativ flachen Teilstück 3-4 km mit 10-11 % am Stück anstehen. Aber da kam ich auch noch ganz gut durch.

Was mich besonders freute und auch zeigte, dass ich so schlecht nicht drauf sein konnte, war die Tatsache, dass mich bisher noch kein einziger Rennradfahrer - oder auch Radrennfahrer - überholt hatte. Ich hatte hingegen schon ziemlich viele Sportkameraden hinter mir gelassen.
Auch die Route von Malaucène bietet tolle Ausblicke

Und auch temperaturtechnisch war es überhaupt kein Problem – ich profitierte wie geplant noch von Restschatten, da die Sonne noch nicht so hoch am Himmel stand, so dass ich immer noch recht entspannt gegen 11:00 Uhr zum zweiten Mal auf dem Gipfel des Mont Ventoux stand.

Ich belohnte mich mit einer eiskalten Orangina und einer großen Flasche Wasser und machte mich gleich in die Abfahrt Richtung Sault.

Was hier sehr angenehm war: Die Straße zwischen dem Chalet Reynard und Sault ist zu fast 90 % komplett neu asphaltiert, so dass es auf der Abfahrt richtig gut rollte. So kann ich gegen 11:30 Uhr in der Lavendelhauptstadt der Provence an.

Nach meinem kurzen Gespräch mit dem französischen Ehepaar machte ich mich dann auf die dritte und letzte Auffahrt. Ein kurzer Blick auf den Tacho zeigte mir, dass es durchaus im Bereich des Möglichen lag, die gesamte Tour mit einem Schnitt von über 20 km/h zu beenden. So setzte ich mir entgegen meines festen Vorsatzes doch noch ein sportliches Resultatsziel für den Tag (abgesehen von den großzügig bemessenen 7,5 Stunden, die ich am Ende auch klar unterbot) und fuhr mit einer für die Verhältnisse doch recht manierlichen Geschwindigkeit von fast 15 km/h zum dritten Mal hoch auf den Mont Ventoux. Eine kurze Schwächephase überwand ich mit einem psychologischen Trick, indem ich mir ständig die zwei eiskalten Orangina-Dosen vor mein geistiges Auge schob, die ich mir auf dem Gipfel wieder gönnen wollte.



Kurz nach 13 Uhr ging's zum dritten und letzten Mal hoch - und es waren
sogar noch ein paar Ritzel übrig...
Trotzdem waren die letzten 5-6 km ab dem Chalet Reynard recht hart. Ich merkte, dass ich schon einige Strapazen in den Knochen hatte, und es war auch mittlerweile sehr heiß geworden. Schatten gab's überhaupt keinen mehr, so dass ich noch mal mit meinen Kräften gut aushalten musste, um nicht zu überhitzen. Trotzdem konnte ich bis 2 km vor dem Gipfel immer noch stolz verkünden, von keinem anderen überholt worden zu sein. Schließlich erwischte mich aber doch noch ein Triathlet aus Bédoin, der allerdings zum ersten Mal an diesem Tag in Richtung Gipfel unterwegs war und nicht, wie ich, schon zwei Aufstiege in den Beinen hatte. Außerdem überholte ich ihn später auf der Abfahrt...

Gegen 13:30 Uhr war ich dann zum dritten und letzten Mal oben. Es war schon ein tolles Gefühl, zum letzten Mal die berühmte Rechtskurve (wie immer vorsichtig außen, innen, wo sie 20% hat, hab ich mich nie getraut) zum Gipfelplateau hoch zu umrunden. Und dann: Oben! Es ist fast vollbracht, die Höhenmeter sind alle gesammelt, jetzt geht's runter und das war's! Nach den zwei eiskalten Orangina-Dosen mach ich mich auch gleich wieder auf die Abfahrt nach Bédoin, um mir dort meinen letzten Stempel zu holen und mein Vorhaben zu beenden.

Das Belohnungseis: Schoko, Vanille, Pistazie...
Die Abfahrt ging ich, auch beflügelt durch das Bewusstsein, es geschafft zu haben, recht beherzt an. Eine Schrecksekunde kurz vor dem Chalet Reynard: Ich hatte Mittel- und Zeigefinger jeder Hand an der Bremse und zog durch ein "Reaktionszucken" nach Durchfahrung einer "unsichtbaren" Bodenwelle bei ca. 75 km/h die Bremsen etwas ruckartig an. Das ganze Rad schlingerte, ich konnte es gerade noch so abfangen. Da hat nicht viel zu einem fetten Sturz gefehlt; Glück gehabt! Manchmal kann einem das Adrenalin auch einen Streich spielen...

Aber nicht einschüchtern lassen, sagte ich mir, griff die Bremse vorsichtiger, lies es gut rollen und schaffte so am Ende doch noch einen Schnitt von über 20 km/h für die gesamte Tour, "gepusht" durch die letzte Abfahrt mit einem Schnitt von 50,2 km/h. In Bédoin gönnte ich mir erst mal ein leckeres Eis mit drei Kugeln - für jede Gipfelerstürmung eine.

Kurz zuvor musste ich noch eine zweite Schrecksekunde überstehen - ich überfuhr einen spitzen Stein, den ich nun aber auch wirklich gar nicht gesehen hatte. Resultat war ein "Platter", was ich allerdings erst nach dem Eisessen bemerkte, und der auch relativ schnell behoben war.

Danach mache ich mich auf den Heimweg nach Cabannes, wo meine Familie schon auf mich wartete.

Optische Darstellung des Cinglé - mit meinen Garmin-
bzw. Strava-Daten über veloviewer.com
Die Strapazen – immerhin 138 km, 4.443 hm, 6:52h – steckte ich zu meiner Überraschung doch relativ locker weg. Die Heimfahrt, knapp über 50 km, fuhr ich immer noch in einem 28,5er Schnitt, und auch am nächsten Morgen hatte ich eigentlich überhaupt keinen Muskelkater, nur die Füße taten ein bißchen weh.

Das Fahrtenheftchen habe ich gleich am nächsten Tag in den Briefkasten geworfen, und wartete kaum eine Woche auf meine wohlverdiente Plakette.

Die Frage, ob ich denn nun wirklich verrückt bin, lasse ich einfach mal offen. Zumindest radsportverrückt...

Je suis un cinglé!

Fotoalbum

Am Schluß, wie es sich gehört, die Danksagungen: Erstmal an Christian Pic, den Präsidenten des Clubs, Florence Girard, Sébastien Doneux und Alessandro Monchieri, die von Statistik über Homologation bis hin zur Webseitenprogrammierung die ganze ehrenamtliche Arbeit für den "Club des cinglés du Mont Ventoux" machen. Das ist sehr ehrenwert und verdient Respekt und Anerkennung! Und auch ein dickes Dankeschön an meine Frau Doris und meinen Sohn Jan-Robin, die mitten im Urlaub um 5 Uhr aufgestanden sind, um mich an den Fuß des Mont Ventoux zu bringen...

2 Kommentare:

  1. moin jörg, vielleicht kannst du mich mal anmailen? ich würde dir gern ein paar fragen zu diesem abenteuer stellen - oRealizador@gmx.net
    danke & grüße

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  2. Hi Jörg, sehr gut geschrieben dein Abenteuer!!! Ich habe neulich den Manni bei mir auf dem Blog gehabt, der hat auch was sehr interessantes über den Mont Ventoux zu erzählen: http://www.speed-ville.de/mont-ventoux-fuer-verrueckte-mit-rennrad/

    Wenn du demnächst mal wieder ein ähnlich "verrücktes" Abenteuer planst, lass es mich mal wissen... Finde es spannend drüber zu schreiben..

    VG Daniel

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